Niko Müller *10.9.1952 +10.5.2022

Mit schwerem Herzen geben wir den Tod unseres langjährigen Klienten Nico Müller bekannt. Dem Vernehmen nach ist er friedlich zu Hause eingeschlafen. Niko wurde fast 9 Jahre lang von uns betreut. Wir bedanken uns bei allen ihn begleitenden Kolleg*innen, die ihm bis zuletzt ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht haben. Vielen von uns ist er bekannt durch sein Schreiben von Kurzgeschichten, die er bei zahlreichen Festen des IWAs vorgetragen hat. Um sein Leben und seine Arbeit zu würdigen, möchten wir hier eines seiner Werke mit euch teilen. Wir wünschen Niko eine gute weitere Reise. 

Es gibt besondere Wege aus einer Depression 

Von Nico Müller aus Kleve

Schon seit vier Jahren befand sich David Tayler, der einst gefeierte Gitarrenvirtuose, in einer tiefen Krise. Seine alten CD´s verkauften sich zwar noch gut, er war auch Großvater geworden, aber was man sonst von ihm hörte: ernsthafte Drogenprobleme, Entziehungen in teuren Privatkliniken, eine innere Leere hatte sich in ihm breit gemacht. Die Affäre mit der 35 jährigen Backgroundsängerin Susan, die jahrelang sein volles Vertrauen besaß und es gnadenlos missbrauchte, hatte sein Herz in der innersten Dimension gebrochen. So verstrich viel qualvolle Zeit……… Er hatte einen Vertrag mit der Krisenmanagerin Jane Rose abgeschlossen. David Taylor probte im Studio mit begabten Nachwuchsmusikern, der Bassist wurde mehrfach ausgetauscht, ein äußerst talentiertes Songschreiberduo unterstützte die Arbeit der David Tayler Group aus dem Hintergrund heraus.  Eine neue CD wurde produziert und von Musikkritikern als „angenehm innovativ“ eingestuft. Keith Richards zeigte sich solidarisch und besuchte Taylor mehrfach im Studio. Mit seinen Jokes munterte er den schwer depressiven Stargitarristen auf, schenkte David viel mentale Kraft und seinen Mitstreitern manchmal sehr lange Zigaretten. Der „Stone“ spielte sogar auf zwei Tracks der neuen CD die Rythmusgitarre und es entstanden wunderbare Songs.

Die Entscheidung des Comebacks sollte die 30 Städte Tournee bringen. Doch da war die Angst des Leadgitarristen David, denn die Tournee begann ausgerechnet in L.A., vor einem verwöhnten Publikum von 20000 Menschen. Tayler hatte erfahrene Ärzte im Hintergrund, die ihm gegen die Angstproblematik mit bewährten Antidepressiva halfen. Dennoch: als der Tourneebus durch Los Angeles rollte und der Ausnahmegitarrist in kurzen Abständen überlebensgroße Fotos aus seiner Jugendzeit erblickte, überkam ihn eine besondere Form der Angst, denn die Werbestrategen hatte die Erwartungen durch ihre Sprüche reichlich hoch geschraubt: „Der beste Gitarrist der West Coast“…..“beginnt seine sensationelle Comebacktournee“…..“im seit Wochen ausverkauften Hollywood Bowl.“ Im Backstagebereich bestimmten nicht phantasievoll gekleidete Musiker, sondern kräftig gebaute Security-Männer in Uniform das Bild. 

Die Vorgruppen spielten nacheinander, David klönte mit den anderen Bandmitgliedern, doch plötzlich begann er zu schwitzen und sein Herz hämmerte gnadenlos. Die körperlichen Symptome der Angst machten sich breit. Endlich, der Top Act wurde angesagt: „Die David-Tayler-Group“. 

Als David den Backstagebereich mit der neuen Backgroundsängerin Carol in Richtung Bühne verlies, wurde er von Tom, dem Chef der Security, um ein Autogramm gebeten. Gerne kam David diesem Wunsch nach. Tom bedankte sich, zog an seiner Filterzigarette und fügte hinzu: „David, du hast einen guten Namen… verteidige ihn.“ Als er die riesige Bühne mit den anderen Bandmitgliedern betrat, wurden sie von einem gnadenlosen Blitzlichtgewitter empfangen. 

Die Angst wich von ihm, er schwankte ein Wenig, wohl die Folge der Ersatzmittel ohne die es wirklich nicht ging. Seine ersten Riffs ertönten, die Musikjournalisten schauten sich an: „Bemerkenswert, nicht von schlechten Eltern.“ Eine Anderer erwiderte: „Der Junge hat die vier Jahre Auszeit genutzt.“ Der Drummer trug Kopfhörer und smilte. Der Neue zupfte die Saiten des Bass´ souverän. Die Sängerin Nancy war sehr begabt und attraktiv, mit ihrer wunderbaren Stimme gab sie ihr Bestes, um das Comeback von David zu unterstützen, ja zu erzwingen. Auch Carol unterstützte wirkungsvoll die Comebackintention von David und Nancy durch ihren musikalischen Beitrag. Doch vor allem das Zusammenspiel der raffinierten Lightshow und der 5er-Formation untereinander war ungeheuer dynamisch, obwohl der Ausnahmegitarrist fast eine Generation älter war als die übrigen Bandmitglieder. Der Musikstil pendelte elastisch zwischen Funk, Mainstream und Jefferson Airplane. Die Band um David coverte aber auch souverän Hits der 80er. 

Der leicht Angegraute wiederholte zunächst eine einfache Melodie, variierte sie mehrfach und es entstand etwas besonderes. Ein Funke entwickelte sich, verharrte zunächst auf der riesigen Bühne, sprang über ins Publikum, traf ein Dutzend Fans, eine Sekunde später zweihundert weitere und steckte immer mehr Zuhörer an. Es war fast wie früher. Tausende weibliche Fans bewegten sich im Rhythmus des genialen Sounds, die ersten Frauen schrien hysterisch. Viele Konzertbesucher wunderten sich, welche ungeheure Energie von David Tayler ausging. 

Als der Weltklasse Bassist Jack Bruce völlig unerwartet mit seiner Gitarre auf die Bühne sprang und mit dem Bassisten der David Tayler Group eine gemeinsame bombastische Basslinie spielte, brodelte es im Hollywood Bowl. Die meisten der zwanzigtausend eigentlich sehr verwöhnten Konzertbesucher hatten so etwas noch nie erlebt. Hunderte tanzten wie in Trance um ein Lagerfeuer. Viele von ihnen hatten zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, das zu bekommen was sie wirklich wollten und wirklich benötigten. Im Rotkreuzzelt herrschte reges Treiben. Zahlreiche Freiwillige, darunter viele Medizinstudentinnen und Medizinstudenten arbeiteten dort. Außer den zahlreichen Patienten, die wegen der üblichen Überdosen von Drogen dort behandelt wurden, gab es nicht wenige, die der ungeheuren Energie der verstärkten David Tayler Group nicht mehr standhalten konnten. Für diese überwiegend weiblichen Musikfans wurde mit Gesprächen aber auch mit Hilfe von Beruhigungsmitteln gesorgt. 

Gleichgültig ob David eine eher zärtliche Melodie anstimmte oder ein rockiges Stück spielte: er war in seiner musikalischen Ausdruckskraft der Konkurrenz der neuen Gruppen immer zwei volle Nasenlängen voraus. David lief zur Höchstform auf. Er präsentierte seinen neuen Hit „Cruel Susan“ in dem er mit seiner Ex abrechnete. Tausende jubelten, es lag etwas besonderes in der Luft über L. A. Tayler steigerte sich, ohne sich zu verausgaben, er hatte mit seiner neuen Formation das Publikum fest im Griff. Als er nach zwei Zugaben die Bühne verließ stand fest, er hatte sein Comeback ohne Zweifel. David Tayler, der von vielen bereits abgeschriebene, der in die Schublade „Leute von Gestern“ einsortiert war, von seiner 35 jährigen Backgroundsängerin gnadenlos gequält, hatte ein großartiges Comeback erzielt. Daran gab es keinen Zweifel, weder bei seinen Fans noch bei den Musikfachkritikern. Als der Tourneebus der David Tayler Group das Stadion verließ, winkte die ehemalige Backgroundsängerin ihm zu. Der Gitarrenhero übersah sie, denn sie war es, die nicht mehr dazu gehörte.

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